Der Wasserschmecker
1.6.03
Alfred J.B. Marhama war jahrelang leitender Mitarbeiter im Wasserprojekt von Bole. Dieses Wasserprojekt ist von Bruder Rudolf Keith zusammen mit der Hamborner GHANAAKTION geründet worden. Ganz im Sinne von Hilfe zur Selbsthilfe hat die GHANAAKTION J.B. Alfred auch beim Sprung in die Selbständigkeit tatkräftig unterstützt.
Auch wenn Bruder Herbert nicht weiß, wie und warum das "Wünscheln` funktioniert, hält er Skepsis für unangebracht.,, Ich fühle nichts Außergewöhnliches, wenn ich eine Wasserader anzeige. Außer der Freude darüber, dass uns Gott eine solche Gabe gibt und wir vielen Menschen in der Not helfen können."
Wir freuen uns mit Ihm über die große Anerkennung, die ihm jetzt zu Teil wird!
Alfred weiß nicht, wie und warum es funktioniert.
Hauptsache es funktioniert, und er spürt es auf:
süßes, sauberes Wasser. Es fließt unter der Erde, verborgen für das menschliche Auge, aber nicht für seinen sechsten Sinn.
Heiß bläst der Wind aus der Sahara an diesem Januarmorgen über die Savanne im nördlichen Ghana und treibt roten Staub vor sich her. Alfred schweigt. Seine Augen wandern von Strauch zu Strauch auf der Suche nach grünen Blättern an den Zweigen. Eine Seltenheit in der Trockenzeit.
"Das Holz muss noch Saft in sich haben, das ist die einzige Bedingung für eine gute Rute", sagt der 36-Jährige. Mit einer Machete trennt er
schließlich einen geeigneten Ast mitsamt einer Gabelung ab, entfernt die Blätter und stutzt das Holz zu einer y-förmigen Wünschelrute. Dann stellt sich Alfred in Position. Die Füße eng parallel.
Er fasst die Rute an den langen Enden zwischen Daumen und Fingerspitzen, bringt sie in Augenhöhe in Suchposition und marschiert los.
Sie heißen "Wasserschmecker" in dieser Region Afrikas - Menschen, die unterirdische Vorkommen des unentbehrlichsten aller Lebensmittel dank einer besonderen Sensibilität und mithilfe eines Pendels oder einer Rute aufspüren können.
Alfred hat sein Handwerk von Bischof Peter Dery gelernt, dem früheren Oberhirten der Diözese Tamale. Der wiederum guckte sich den Umgang mit der Wünschelrute vor langer Zeit von einem weißen Afrikamissionar ab. Wann immer der Bischof in ein Dorf gerufen wurde, um Wasser zusuchen, ist er dorthin aufgebrochen. Egal, wie voll sein Terminkalender war. Manchmal sondierte er das Gelände gar mitten in der Nacht, erinnern sich die Diözesanen.
"Sehen Sie sich meine Beine an", sagt der heute 85-jährige Dery. "Ich habe am eigenen Leib erfahren, was unsauberes Wasser anrichtet."
Die Narben an seinen Beinen stammen vom Guinea-Wurm, der über unsauberes Wasser in den menschlichen Organismus gelangt. Er lebt im Unterhautgewebe und durchbohrt die Haut von innen zur Eiablage. Es entstehen eitrige, äußerstschmerzhafte Geschwüre, die mit Fieber und
Übelkeit einhergehen, bis der Wurm ausschlüpft.
"Ich habe Bischof Peter oft beobachtet, wenn er mit seiner Rute durchs Gelände ging und Wasser suchte` ,erinnert sich Alfred. "Eines Tages habe ich ihn gefragt, ob ich es auch lernen könnte. Versuchs hat er gesagt. Ich habe seine Rute genommen, und als ich über einer Wasserader stand, regte sich die Astgabel in meinen Händen.
Der Rest ist Übung und Routine."
Die hat der Absolvent einer polytechnischen Schule und gelernte Straßenbauer inzwischen reichlich. Seit fünf Jahren sucht er professionell Wasser. Als Spezialist für den Bau und die Wartung von Pumpen hat sich Alfred selbstständig gemacht und kann von dem Geschäft seine kleine Familie ernähren. Mittlerweile arbeitet er auch mit staatlichen Wassergesellschaften und Entwicklungsorganisationen zusammen. Doch viele von ihnen sind skeptisch und machen nur zögerlich von dem unkonventionellen, aber preiswerten und effektiven Verfahren des Rutengehens Gebrauch. Manche rufen den "Wasserschmecker" nur dann, wenn sie erfolglos gebohrtund ihre Budgets in den Sand gesetzt haben. Immerhin kostet jeder Bohrversuch etwa 3000 Euro.
"In einem Fall haben Hydrogeologen an vier Stellen gebohrt und keinen Tropfen Wasser gefunden. Daraufhin habe ich für sie zwei Stellen geortet, wo sie dann jede Menge Wasser gefunden haben." Andere Firmen rufen Alfred lieber gleich, bevor sie zu bohren anfangen. Mit umgerechnet 200 Euro, die er für das Finden eines geeigneten Bohrplatzes mit der Rute verlangt, kostet er nicht einmal halb so viel wie ein ausgebildeter Hydrogeologe, wie die akademischen Wassersucher heißen.
Manchmal streift Alfred stundenlang umher neugierige Kinder und Erwachsene im Schlepptau. "Ich schlage mir meine Rute grundsätzlich vor ihren Augen. Damit sie nicht denken, ich benützte einen Zauberstab." Alfreds Handflächen sind vor Schwielen ganz hart. Wenn er Wasser im Untergrund spürt, kann er die Route kaum halten. Dann neigt sich ihre Spitze mit solcher Kraft zum Boden, dass sich die Rinde unter den Fingern von dem Holz löst und sein konzentrierter Gesichtsausdruck sich angestrengt verzerrt. Manchmal wirken die Kräfte so stark, dass die Rute bricht oder Alfred Krämpfe in den Fingern bekommt.
"Nein, hier ist nichts", zieht er an diesem Morgen Bilanz. Tatsächlich wandert die Rute immer nach oben aus. Der Wasserschmecker schüttelt seine Hände und entspannt die Daumen. Wenige Kilometer weiter stehen Frauen und Kinder an einer Handpumpe Schlange. Sie füllen Kanister und hüfthohe Blechtonnen mit glasklarem Wasser. 40 Liter pro Minute liefert der Brunnen rund um die Uhr. Alfred, der diese Quelle in einer Tiefe von 47 Metern aufspürte, freut sich für seine Landsleute: "Viele von ihnen mussten noch vor wenigen Monaten acht Kilometer bis zur nächsten Wasserstelle laufen.` Eigentlich ist Ghana ein wasserreiches Land. Viele Flüsse durchziehen es und versorgen Flora und Fauna mit der nötigen Nahrung. Aber in der Trockenzeit wird das kostbare Nass knapp. Um Grundwasser-Vorräte anzuzapfen, bedarf es jedoch eines Brunnen. An denen fehlt es vor allem in den ländlichen, weniger erschlossenen Gebieten des Nordens.
Brunnen kennen viele afrikanische Länder erst durch Kolonialherren und Missionare. Auf der Suche nach trinkbarem Wasser besannen sich diese Pioniere auf die Gaben ihrer menschlichen Natur.
"Viele Missionare sind Pendler und Rutengänger", weiß der Franziskaner Bruder Herbert Schwarz, der im ostafrikanischen Burkina Faso eine Handwerksschule leitet. Er selbst erlernte das Rutengehen von einem deutschen Ingenieur.
"Ich sehe diese Gabe nicht als etwas so Ungewöhnliches an. Denn ich habe festgestellt, dass viele Menschen es tun können und mit etwas praktischer Erfahrung auch genauso gute Ergebnisse erzielen wie ich. Ich habe hier mehrere junge Leute angelernt. Gute Bohrplätze werden jetzt mit gleichem Erfolg von ihnen angezeigt.`